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Der Rhodos-Monolog

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                                             Der Rhodos-Monolog

“Gestern Abend war ich ganz spontan in der Philharmonie” erzähle ich Herrn Rundkiesel, einem Mitarbeiter bei Siemens. Er ist für das Projekt zur Einführung eines Computerprogramms abgestellt. Rundkiesel, ein 45jähriger rundlicher Berliner, trägt zu seinen hellen Jeans ein rot-weiss kariertes Hemd ohne Krawatte und ist einem kleinen Schwätzchen nie abgeneigt. Die Arbeit hat er nicht grad’ erfunden, witzeln seine Kollegen.

“Und? ” fragt mich Rundkiesel, ”Wie war’s in der Philharmonie? Oder “ sagt er, “Warten Sie. Ich erzähle Ihnen, wie es war. Ich lese nämlich gerade die Kritik in der Berliner Zeitung. Die ersten beiden Stücke von Mozart haben dem Kritiker gefallen. Aber dann und Rundkiesel wiegt seinen Kopf bedeutungsvoll hin und her, lächelt verschmitzt und beginnt wörtlich aus der Kritik zu zitieren “ Nach der Pause flachte das Konzert ab. Um 1/2 11 durften wir endlich nach Hause gehen.”

Es ist halb Zehn. Frühstückspause. Rundkiesel zelebriert dieses Ereignis wie jeden Morgen. Sein Telefon schiebt er auf meinen Schreibtisch, seine Tastatur legt er auf den Monitor, der dann auf den gegenüberliegenden Schreibtisch geschoben wird. Nun ist ausreichend Platz für die Berliner Zeitung, die Brotdose mit zwei Klappstullen Schwarzbrot und einer Tomate. Den Reise-Salzstreuer aus Porzellan mit dem Aufdruck “Gruss aus Kufstein” holt er aus der oberen Schublade seines Schreibtisches. Und als Dessert hat er heute eine Banane dabei. Jetzt darf man Rundkiesel nicht stören, denn er hat Pause und die ist ihm heilig. “ Sonst ist’s ja keine Pause, sondern Arbeit” pflegt Rundkiesel bei Unterbrechungen zu nörgeln. Er beginnt zu essen. Der Geruch vom dänischen Tilsiter legt sich wie eine Giftgaswolke über unsere Schreibtische. Seine Umgebung, so hat es den Anschein, nimmt Rundkiesel nicht länger wahr. Jetzt gibt es für ihn nur noch seine Käsebrote und die kleine und grosse Welt durch die Brille der BZ.

Die Brote sind aufgegessen. Er legt die Zeitung akkurat zusammen, faltet das Butterbrotpapier sorgfältig und legt es in die Brotdose, die in der Aktentasche verstaut wird. Rundkiesel gähnt, dreht seinen Stuhl zum Fenster, faltet die Hände vor dem Bauch und legt den Kopf schräg. “Übrigens“ sagt er beiläufig, ohne sich umzudrehen, “wenn das Telefon klingelt, sagen Sie einfach, ich sei in der Buchhaltung bei Herrn Ahrens”. Rundkiesel legt die Füße auf den Heizkörper unter dem Fenster und schliesst die Augen.

“Wenn ich jetzt” sagt Rundkiesel in Richtung Fenster “sagen wir mal, auf Rhodos wäre.....
Klar, ich bin jetzt nicht auf Rhodos und fahre da auch erst im nächsten Sommer wieder hin, aber wenn ich nun, nur einmal angenommen, genau in diesem Augenblick auf Rhodos wäre, was würde ich dann machen? Auf jeden Fall” Rundkiesel nickt jetzt energisch mit dem Kopf ”würde ich hoffentlich nicht ein einziges Mal an die Einführung dieses blöden Computerprogramms denken, mit dem ich mich nun schon seit fast 20 Monaten ’rumärgere. Und an diese ewigen Geschäftsreisen nach Greifswald würde ich hoffentlich auch nicht denken. In diesem Greifswald möchte ich nicht tot über dem Zaun hängen. Und auch an alle meine sooo lieben Kollegen würde ich keinen Gedanken verschwenden.
Also, was würde ich da machen auf Rhodos? Erst einmal würde ich vom Hotel, einfach nur so, in stiller Absichtslosigkeit, ja, das hört sich gut an, so in stiller Absichtslosigkeit ...” Rundkiesel hält inne. “Ja, das ist mir schon klar, ich weiss, dass ich jetzt nicht auf Rhodos bin”, ruft er sich selbst zur Ordnung und fährt fort, “sondern in Berlin-Spandau und habe gerade meine Frühstückspause. Und heute am frühen Nachmittag muss ich dem Leiter der Abteilung, dem von mir so verehrten Herrn Behringer, meine Fortschritte bei der Umsetzung des Computerprogramms erklären. Tja, das wird sicherlich spannend. - Kiek ‘ma aus’m Fenster, wenn du keenen Kopp hast! -” berlinert Rundkiesel, lacht laut und wischt weitere Gedanken mit mit der Hand weg, so als würde er eine Fliege verscheuchen.

Behringer und Rundkiesel werden nie Freunde werden hört man von den Kollegen. Behringer wurde von seiner früheren Position wegen Unfähigkeit weggelobt und bekam den Posten als Abteilungsleiter. Offiziell sprach man im Unternehmen von einer Beförderung, der “Flur-Funk” hingegen meldete, dass Behringer keine Ahnung, aber dafür einen Schwiegervater in der Geschäftsleitung hat. Als Behringer seinen Antrittsbesuch als Abteilungsleiter machte, fragte er Rundkiesel, der vorne links im Grossraumbüro sitzt, wieviel Leute denn insgesamt hier arbeiten würden. Rundkiesel soll darauf frech grinsend geantwortet haben: “Nach meiner Erfahrung etwa die Hälfte.”

“Aber zurück nach Rhodos” sagt Rundkiesel, wieder ganz gefasst, zu sich selbst. “Nehmen wir also einmal an, ich wäre jetzt auf Rhodos, hätte im Hotel gut gefrühstückt, müsste nichts, aber auch gar nichts machen. Der nächste Termin ist erst das Abendessen im Hotel. Ich muss keinem etwas erklären -sehr schön!-, auf niemanden Rücksicht nehmen -toll!-, kann machen was ich will -es wird immer besser!-.
Auf Rhodos, Rundkiesel schaut auf seine Uhr, ist es auch kurz nach 10. Wie bei uns. Bestimmt wird die Sonne scheinen. Morgens ist es dann noch nicht so heiss und duftet so herrlich nach Pinien und Meer. Also, sagt Rundkiesel bestimmt, einfach ‘mal zum Hafen ‘runter. Auf dem Weg dahin im Kiosk schnell eine "BZ" kaufen und bei Stavros im Cafenion meinen ersten Milchkaffee trinken.” träumt Rundkiesel sich weiter fort.

Das Telefon klingelt. Ich nehme das Gespräch wie vereinbart entgegen. Am Telefon ist Abteilungsleiter Behringer, der Rundkiesel sprechen will. Ich sage ihm, dass Herr Rundkiesel in der Buchhaltung bei Herrn Ahrens ist und fühle mich unwohl dabei. Rundkiesel schaut während der ganzen Zeit weiter aus dem Fenster und versucht vermutlich den Faden für seine Erzählung nicht zu verlieren. ”Also!” Rundkiesel erhebt seinen Zeigefinger “Ich betone” fährt er fort, “dort auf Rhodos werde ich in aller Ruhe meine Zeitung lesen und nicht wie hier, mich laufend durch irgendwelche Geräusche stören lassen. Glücklicherweise bin ich ja auf Rhodos.” Rundkiesel lächelt vergnügt zum Fenster und kratzt sich am Bauch und spinnt seinen Faden weiter. “Nach so ungefähr einer halben Stunde werde ich die Zeitung durchgelesen haben und schlendere weiter in Richtung Hafen. Mal sehen, was die Fischer gefangen haben. Vielleicht gönne ich mir heute Abend in meinem Lieblingsrestaurant eine lecker in Olivenöl gebratene Dorade.” Rundkiesel zieht die Luft durch die Nase ein, als könne er die gebratene Dorade schon riechen, gähnt lautlos und schaut versonnen, die Füsse immer noch auf der Heizung, aus dem Fenster.

Genau in diesem Moment geht die Tür zum Grossraumbüro forsch auf. Abteilungsleiter Behringer tritt schwungvoll und mit hochrotem Kopf ein und ruft: "Rundkiesel, kommen Sie 'mal bitte in mein Büro! Sofort!”

BS 03/2009